Die Zeit der schlafenden Hunde by Mirjam Pressler

Die Zeit der schlafenden Hunde by Mirjam Pressler

Autor:Mirjam Pressler [Pressler, Mirjam]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Jugendroman
ISBN: 9783407743145
Herausgeber: Beltz & Gelberg
veröffentlicht: 2003-05-21T22:00:00+00:00


10 Schlafende Hunde

Ihr Vater schlägt mit der Faust auf den Tisch, so fest, dass sein noch halb volles Glas umfällt, der Wein läuft über die Tischplatte und malt einen rot glänzenden Streifen über die braune, lackierte Oberfläche. Der Vater zuckt zusammen, kippt die Knie zur Seite, aber es ist zu spät, er hat etwas abbekommen, auf seiner grauen Hose ist ein Fleck. Der Wein tropft auf den Teppich, Johanna kann den Blick nicht abwenden, zwanghaft fängt sie an, die Tropfen zu zählen, bis ihre Mutter aufspringt, hinausläuft, mit einem Küchenhandtuch zurückkehrt und anfängt zu wischen, hektisch, als könne sie, wenn sie nur schnell genug wäre, mit ihrem Wischen und Reiben eine drohende Katastrophe abwenden.

Johanna bleibt sitzen, trotzig, wütend, warum tut sie das, denkt sie, er war es doch, der das Glas umgeworfen hat, aber dann sieht sie das Gesicht ihrer Mutter, den geöffneten Mund, die Lippen, die sich bewegen, als wolle sie etwas sagen oder als erwarte sie, dass etwas gesagt würde, und überlegt, dass sie nur Zeit gewinnen will, sie weiß noch nicht, wie es weitergeht, auf wessen Seite sie stehen wird. Vielleicht hat sie auch nur einen Grund gesucht, um im Vorbeigehen den Fernseher auszumachen, wie unabsichtlich, aber Johanna empfindet es als Ermutigung, als Aufforderung, weiterzusprechen. Auf einmal ist es so still im Zimmer, dass man das Ticken der alten Wanduhr hört, die früher im Wohnzimmer des Großvaters hing, die ziselierte Messingscheibe an dem langen Stab bewegt sich gleichmäßig hin und her, auch ein Gegenstand, den sie fotografieren wird.

Florian steht auf, murmelt etwas von einer Arbeit, die er morgen schreiben müsse, sagt Gute Nacht und verlässt fluchtartig das Zimmer. Keiner hält ihn zurück, und einen Moment lang ist Johanna versucht, ihm nachzulaufen, sie sind beide daran gewöhnt, einem Streit mit ihrem Vater auszuweichen. Sie unterdrückt den Impuls, es ist nicht Mut, der sie zurückhält, sondern Trotz, purer Trotz.

Der Vater wischt sich über die Hose, der dunkle Fleck auf seinem Oberschenkel breitet sich aus, so rund und dunkelrot wie in den Kriminalfilmen, die er so gerne sieht, sodass Johanna unwillkürlich nach dem Einschussloch sucht, auch wenn sie weiß, dass es nur Rotwein ist.

Sie versteht nicht, wie es gekommen ist, es war ein normaler Abend, sie haben sich nach dem Essen mit ihrem Nachtisch, Walnusseis, ins Wohnzimmer gesetzt und den Fernseher eingeschaltet, um die Nachrichten anzuschauen. Der Sprecher berichtete von einem ehemaligen SS-Mann, der vielleicht aufgrund seines Gesundheitszu stands nicht mehr prozessfähig sei, und Johanna sagte, ohne nachzudenken, das kann Opa nicht mehr passieren, und da hat ihr Vater die Faust geballt und auf den Tisch gehauen.

Nachdem Florian das Zimmer verlassen hat, sagt er ruhig, aber mit einer Stimme, der man den unterdrückten Zorn anhört, du lässt nicht locker, du willst unbedingt schlafende Hunde wecken, du bist genauso stur wie er, also, was willst du?

Sie nimmt ihren ganzen Mut zusammen und sagt, er war doch ein Nazi, was hat er wirklich gemacht, du musst es wissen, du musst ihn doch mal gefragt haben.

Sie hat erwartet, dass er wütend reagiert, aber so ist es nicht.



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